Wie hätten Sie entschieden, wenn Sie beim unten geschilderten Rechtsstreit die zuständige Richter*in gewesen wären?

Was ist geschehen?

Verwaltungsmitarbeiter Horst arbeitet in einem Rathaus in Nordrhein-Westfalen. Von seinem Arbeitgeber wird die Anweisung herausgegeben, dass in Räumen und auf Fluren, die von mehreren Personen genutzt werden, ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen ist. Wenige Tage später legt Horst seinem Arbeitgeber ein Attest vor. Darin ist das Folgende zu lesen:

Horst ist heute von mir untersucht worden. Aufgrund einer Erkrankung ist er vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit.“

Der Arbeitgeber bittet Horst um eine arbeitsmedizinische Untersuchung. Horst willigt in diese ein. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird dem Arbeitgeber wie folgt mitgeteilt:

Das vorgelegte Attest ist aus arbeitsmedizinischer Sicht nach den Darstellungen des Mitarbeiters nachvollziehbar.“

Der Arbeitgeber ordnet daraufhin für Horst das Tragen eines Visiers an. Horst legt daraufhin ein weiteres Attest vor. Dieses enthält den folgenden Text:

Horst ist heute von mir untersucht worden. Aufgrund einer Erkrankung ist er vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder alternativer Gesichtsvisiere jeglicher Art befreit.“

Trotz dieser Atteste teilte der Arbeitgeber Horst mit, dass er an seiner Anweisung zum Tragen eines Visiers festhält und Horst nur mit einem entsprechenden Schutz zur Arbeit erscheinen darf. Horst ruft daraufhin das zuständige Arbeitsgericht an. Er möchte, dass das Arbeitsgericht seinen Arbeitgeber verpflichtet ihn bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens weiter zu beschäftigen. Die Weiterbeschäftigung soll ohne das Anlegen eines Mund-Nasen-Schutzes oder eines Visiers geschehen.

Würden Sie dem Antrag von Horst stattgeben?

Sind „Befreiungs-„Atteste zu begründen?

Der oben genannte Sachverhalt orientiert sich an einem Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 16. Dezember 2020 (4 Ga 18/20). Das Arbeitsgericht hat die Anträge von Horst zurückgewiesen. Im Rahmen der summarischen Prüfung kam es zu dem Ergebnis, dass der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses schwerer wiegt, als das Interesse von Horst an einer Beschäftigung ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nase-Abdeckung.

Der Arbeitgeber habe sicherzustellen, dass bei der aktuellen Pandemielage nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch alle Bürgerinnen und Bürger, die das Rathaus besuchen, nur einem geringen Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Insbesondere im Hinblick auf die Pandemielage sei eine entsprechende Maskenpflicht in geschlossenen Räumen in § 3 der Coronaschutzverordnung NRW angeordnet.

Die von Horst vorgelegten Atteste waren aus Sicht des Arbeitsgerichts nicht ausreichend, um die medizinische Notwendigkeit der Befreiung von der sogenannten Maskenpflicht glaubhaft zu machen. Solche Atteste müssten den Arbeitgeber in die Lage versetzen, aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen das Vorliegen einer Ausnahmesituation „selbstständig“ zu prüfen. Das Arbeitsgericht bezieht sich auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgericht Münster vom 24. September 2020 (13 B 1368/20), um seine Rechtsansicht hinsichtlich des Mindest-Inhalts eines solchen Attests zu stützen.

Handelt sich um ein Einzelfall-Urteil?

Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg um eine unbeachtliche Einzelfallentscheidung handelt. Auch wenn die Coronaschutzverordnung in Nordrhein-Westfalen keinerlei Vorgaben dazu macht, welchen Inhalt ein solches Attest haben muss, hat zumindest das Oberverwaltungsgericht Münster am 24. September 2020 (13 B 1168/20) entschieden, dass entsprechende Atteste Angaben zur Diagnose und die Angabe nachvollziehbarer Befundtatsachen enthalten müssen. Eine vergleichbare Entscheidung hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof am 26. Oktober 2020 (20 C 20.2185) erlassen. In beiden Fällen ging es um Schüler, die sich für Zeiten des Präsenzunterrichts vom Tragen entsprechender Schutzmasken befreien lassen wollten. Die Schülerinnen hatten Atteste vorgelegt, die keinerlei Angaben zur Diagnose oder zu den maßgeblichen Befundtatsachen enthielten.

Beide Gerichte gehen davon aus, dass datenschutzrechtliche Erwägungen der Angabe entsprechender Gründe nicht entgegenstehen würden. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat dies ohne Angabe von Gründen getan. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hat angemerkt, dass die Schule bei der Erfassung der Atteste die datenschutzrechtlichen Maßgaben zu beachten habe und dadurch die Interessen der Betroffenen ausreichend geschützt werden.

Das Oberlandesgericht Dresden hat am 6. Januar 2021 (6 W 939/20) ebenfalls festgestellt, dass entsprechende Atteste zu begründen sind. Diese Entscheidung erging ebenfalls in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine Auszubildende im Gesundheitsbereich wollte sich von der Maskenpflicht befreien lassen. Das Oberlandesgericht hat die Ansicht vertreten, dass ein solches Attest zumindest Angaben dazu machen müsse, welche Beeinträchtigungen beim Tragen entsprechender Masken zu erwarten sind und welche Vorerkrankungen diesbezüglich eine Rolle spielen. Datenschutzrechtliche Bedenken hatte es nicht, da die sächsische Corona-Schutzverordnung Schutz- und Löschpflichten regelt.

Anders hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 4. Januar 2021 (11 S 132/20) entschieden. Dort ging es um die Frage, ob aufgrund der Coronaschutzverordnung des Landes Brandenburg das Attest im Original mitgeführt werden muss und ob ein solches Attest die gesundheitlichen Beeinträchtigungen konkret zu benennen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die Pflicht zum Mitführen des Attestes im Original nicht beanstandet. Allerdings war eine Begründung des Attestes nicht notwendig, weil die Coronaschutzverordnung des Landes Brandenburg keinerlei Regelungen zum Schutz dieser Daten vorsah.

Fazit
Die überwiegende Anzahl der Gerichte geht derzeit davon aus, dass Atteste, die den Betroffenen von dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreien sollen, einer nachvollziehbaren Begründung bedürfen. Deshalb ist derzeit zumindest in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen nicht davon auszugehen, dass man mit einem Attest, welches diese Anforderungen nicht erfüllt, zum Ziel kommen wird.

Selm, den 27.01.2021
Kai Riefenstahl

Foto von Ines Riefenstahl